Die Geschichte des Festspielhauses Hellerau Teil 1
Stadtrat Tilo Wirtz und Stadtbezirksbeirätin Esther Ludwig geben einen Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand der Geschichte des Festspielhauses Hellerau. Dieser Artikel erschien in der Zeitungsausgabe VORNE LINKS 122020
Die Infrastruktur des Holocaust in Hellerau
Eine kleine, scheinbar nebensächliche Randnotiz, die rund um den Beschluss zur Sanierung der beiden Flügel des Festspielhauses Hellerau auftauchte: während der Zeit des Nationalsozialismus war hier eine Polizeischule untergebracht.
So ganz beim Namen nennen mochte die Verwaltungsvorlage zum Planungsauftrag des Kasernenflügels Ost die Dinge nicht. »Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Zuge der weiteren Planung die Aufarbeitung der Geschichte des Festspielareals in ein Konzept als Gedenkort aufzunehmen.« Dies bedurfte einer Ergänzung, die seitens der LINKEN im Bauausschuss beantragt und einstimmig angenommen wurde: »Dazu ist die Bau- und Nutzungsgeschichte der Kasernenflügel von 1938 bis 1945 unter der NS-Herrschaft und von 1945 bis 1993 im geteilten Europa systematisch wissenschaftlich aufzuarbeiten oder aufarbeiten zu lassen, wobei die Öffentlichkeit beteiligt werden soll. An die Geschichte des Standortes als Bestandteil der Infrastruktur des Holocaust und als Ausbildungsort für den NS-Unterdrückungsapparat als Polizei-Ausbildungsbataillon und als Waffenschule der Ordnungspolizei ist vor Ort in geeigneter und dauerhafter Form durch Kunst am Bau mahnend zu erinnern und zu gedenken. Ebenfalls ist auf die folgende Nutzung als Standort der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland in der Folge des 2. Weltkrieges in angemessener Form hinzuweisen. Dokumentationen zum Thema sind vor Ort und im Internet öffentlich zugänglich zu machen.«
Was mit einer Literatur-und Internetrecherche zum Standort der Ordnungspolizei im NS begonnen hat, wird inzwischen systematisch durch Sichtung von Archivmaterial intensiviert. Zwar sind noch nicht alle Teile des Puzzles gefunden, geschweige denn zusammengesetzt, doch schon jetzt ergibt sich ein Bild von der Polizeikaserne, die sich von 1938 bis 1945 in Hellerau befand.
Hier ein kleiner Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand bis 1939
Dass es Polizeischulen gibt, scheint zunächst nichts Ungewöhnliches zu sein. Wissenschaftliche Arbeiten haben jedoch festgestellt, dass ohne die Beteiligung der Polizeieinheiten der Holocaust und die anderen Verbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges nicht möglich gewesen wären. Allein die Ordnungspolizei ermordete zwei Drittel der Juden! Sie erschossen die Zivilbevölkerung, jagten entflohene Kriegsgefangene sowie Partisanen, räumten Ghettos, ermordeten Juden, Sinti, Roma, Behinderte. Kinder wie Erwachsene.
Und wo lernten dies die Polizisten? Beispielsweise in der Polizeischule Hellerau! Im ehemaligen Festspielhaus! Obwohl der größte Teil der Unterlagen von den Tätern vernichtet wurde, ist es auch heute noch möglich, die Geschichte dieser Polizeischule zu skizzieren.
Sie beginnt nach jetzigen Erkenntnissen ungefähr im Mai 1937. In einem Schreiben vom 14. Mai 1937 informiert das Sächsische Innenministerium den Bürgermeister der Gemeinde Rähnitz-Hellerau über die bevorstehenden Änderungen, da Heinrich Himmler den Plan erwogen hatte, ein Polizei-Ausbildungsbataillon ins Festspielhaus zu verlegen. Eine Besichtigung u.a. durch den Chef der Ordnungspolizei, General Daluege, hätte die Brauchbarkeit der Anlagen für diesen Zweck ergeben. Die erläuterten baulichen Veränderungen wurden mit Baubeginn 1938 auch umgesetzt und bestimmen bis heute das Festspielhaus selbst und seine Umgebung. Denn u.a. durch den Neubau der beiden Mannschaftshäuser (die heutigen West- und Ostflügel) und die damit verbundene Schließung der ursprünglich zwischen Urnenfeld und Schulweg vorhandenen Zugänge entstand der heutige kasernenartige Platz vor dem Festspielhaus. Im Hauptgebäude sollte die Verwaltung, der gesamte Lehrbetrieb und etwa eine Hundertschaft untergebracht werden, dazu die Gemeinschaftsräume (Offizierskasino, Speisesaal usw.). Der Festsaal wurde verkleinert und Umbauten im Innern vorgenommen.
Im September 1938 übernahm Oberstleutnant der Schutzpolizei Hermann Franz das Kommando der im Aufbau befindlichen Polizeiausbildungsabteilung Dresden-Hellerau. Der 1891 in Stötteritz bei Leipzig geborene und in Dresden aufgewachsene Sohn eines Formers besuchte mit 14 Jahren die Unteroffiziersvorschule in Struppen und begann so zunächst eine militärische Laufbahn, bevor er 1920 zur Schutzpolizei Sachsen kam. Seit 1931 war er Mitglied der NSDAP und hatte bereits vor 1933 im Vogtland sowie in der sächsischen Polizei nationalsozialistische Strukturen aufgebaut. Gleich zu Kriegsbeginn 1939 war er dann in Polen als Kommandeur des Polizeibataillons 41 eingesetzt. Später war Franz u.a. Kommandeur des SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 sowie der Ordnungspolizei in Griechenland und in Norwegen.
Im Juli 1939 kam die erste Hundertschaft nach Hellerau. Anlässlich ihrer Ankunft wurde dem Bataillon die von Hitler auf dem letzten Reichsparteitag geweihte Fahne übergeben. Die anderen beiden Hundertschaften kamen je nach Fortschreiten der Bauarbeiten nach Hellerau. Nach der Vereidigung der ersten drei Kompanien im Mai 1940 begann offiziell der erste Lehrgang.
Von Tilo Wirtz und Esther Ludwig
Die Fortsetzung folgt in der nächsten Zeitungsausgabe.